01 Einmal, beim Einbruch der Nacht, haben zwei Bauern «auf dem Boden» in Peil den schwarzen
02 Wasserbutz gesehen.
03 Wo der sich zeigt, regnet es ohne Unterlass, bis die Bäche und Flüsse über die Ufer treten und
04 Haus, Hof und Äcker verwüsten. Gibt man dem schwarzen Wasserbutz, so grausig er auch an-
05 zusehen ist und so wüst er auch tut, ein gutes Wort, so ist das Unwetter ohnmächtig und rich-
06 tet kein Unheil an. Spricht man aber kein Wort mit ihm, so gibt es grossen Schaden.
07 Einmal also, als der Regen bereits tagelang fiel, waren die beiden Bauern eben dabei, ihr Vieh
08 vom unteren Stall in den oberen zu treiben. Das reissende Wildwasser drohte die untere Hütte
09 wegzuschwemmen. Schon floss Wasser und Schlamm durch Tür und Tor, und die Bauern gru-
10 ben einen tiefen Graben, um das Wasser abzuleiten.
11 Spät am Abend waren Keller und Stall leergeschöpft, und die beiden Bauern warfen sich tod-
12 müde ins Stroh. Aber draussen regnete es in einem fort, als seien am Himmel alle Schleusen
13 offen. Der Bach schwoll mächtig an, riss von den Hängen Erde und Steine mit sich.
14 So fürchterlich toste und brauste das Wildwasser das Tal hinunter, dass die beiden Bauern vor
15 Angst und Schrecken kein Auge schlossen. Da standen sie auf und traten unter die Türe. Das
16 Haus stand jetzt mitten in einem wild brausenden Strom. Aus schwarzen Wolken fiel Wasser,
17 was immer herunterfallen mochte. Blitze zündeten über den Himmel, und Donner rollte den
18 Felswänden entlang.
19 Da sahen sie plötzlich, von einem feuerstrahlenden Blitz erhellt, eine unförmige, schwarze Ge-
20 stalt, die durch die reissenden Fluten der Hütte zu watete. Dabei machte sie sonderbare Be-
21 wegungen, tanzte und wälzte sich durchs Wasser, peitschte die Fluten mit Händen und Füs-
22 sen, dass sie hoch aufspritzten. Dann sprang die dunkle Gestalt wieder auf die unförmigen Bei-
23 ne, klatschte mit den grossen Händen, und jedes Mal, wenn es klatschte, stürzte das Wasser
24 noch heftiger aus dem Himmel. Auf einen dunklen, klagenden Ruf hin fuhren von allen Halden
25 und Hängen Rüfen und Erdschlipfe herunter.
26 Da sahen die Bauern mit Entsetzen, dass die dunkle Gestalt Ziegenfüsse hatte. Auf einmal
27 schnellte dieser Unheimliche mit einem Mark und Bein durchdringenden Schrei aus dem Was-
28 ser und setzte mit einem Sprung über den nächsten Hügel hinweg. Im gleichen Augenblick
29 brach dicht neben der Hütte ein Schlammstrom in den Bach hinunter.
30 Die Bauern brachten vor Entsetzen keinen Laut aus ihrer Kehle und blieben wie angenagelt
31 unter der Tür stehen. Erst nach einer Weile schleppten sie sich hinein auf den Strohsack, wo
32 sie in unruhigen Schlaf fielen.
33 Als die beiden Bauern sich am Morgen aus ihrer Hütte wagten, war ringsum nichts zu sehen
34 als schlammbedeckte Weiden und Felsgeröll.
35 «Das hat der schwarze Wasserbutz getan!», riefen sie. «Hätten wir nur ein Wort mit ihm gere-
36 det, wäre alles anders gekommen.»